Überall ist Wunderland, Folge 11
Rennt! Oder: Friedhof der Küchentiere
Wir haben Motten. Sie kriechen wurmartig die Decke entlang, versammeln sich zum Gelage in den Schränken, kopulieren auf unseren Türrahmen und machen uns madig. Stimmt nicht, madig gilt dem Kalauer, in Wahrheit machen sie uns völlig verrückt. Wir springen hektisch hoch beim Essen, schlagen verzweifelt um uns und brüllen Urlaute, wenn wir wieder eines der Tiere mit bloßen Händen erschlagen haben. Mit Fortschreiten der Plage werden wir aggressiver, die Klatscher bersten wie Schüsse durch die Luft und manchmal erwische ich mich, wie ich ein totes Tier mit dem Fuß zu Staub zermalme.
Die Motten wehren sich durch Masse. Sie werden größer und einfach immer mehr. Sie verstecken ihre Eier in den Löchern und Ritzen unserer jahrzehntealten Mietwohnungsküche und übernehmen durch Megapopulation den Raum. Chapeau, könnte man sagen, aber so neu ist das Prinzip nicht. Machen wir ja ähnlich. Was den Motten die Altbauküche, ist dem Menschen die Erde.
Wir haben jetzt Feinde im Internet bestellt. Schlupfwespen. Die sind winzig, hungrig und fungieren als Spürhunde der Küchenschränke. Sie finden die Eier, nisten sich ein und die Mottenbabys haben keine Chance auf Leben. Es scheint zu funktionieren, wir können wieder in Ruhe essen und der Pfeifton in meinem Ohr ist verstummt. Wenn die Schlupfwespen ihre Arbeit gemacht haben, sind alle Motteneier weg und sie verhungern. Einmal die Schränke durchwischen – und alle Spuren des Lebens und Sterbens sind beseitigt.
Wer oder was ist eigentlich der natürliche Feind der menschlichen Megapopulation?
Es gibt keine riesige Hand, die uns bei der Paarung erschlägt, dass hätten wir mitbekommen. Auch unsere Eier werden nicht systematisch befallen.
„Der größte Feind des Menschen ist der Mensch selbst“, sagt ein Sprichwort. Wir sind so schlau, dass wir uns selbst schlupfwespen können. Krankheiten raffen uns nieder, auch solche, die wir selbst verschuldet haben. Aber mehr geht immer: unter anderem indem wir äußerst effizient und rasend schnell unsere Lebensgrundlage zerstören.
Wir brauchen wieder natürliche Feinde!
Verstecken wir Skorpione in Schuhgeschäften, setzten Krokodile in Kanäle, und holen Grizzlybären in unsere Grünanlagen. Was Paintball für die Projektgruppe ist, sind Raubtiere für unser Rudel. In kürzester Zeit werden wir ein super Team, saugen Gift aus fremden Beinen, zerren Kinder aus tödlichen Klauen, und sind allgemein viel zu beschäftigt, um dem Planeten endgültig den Garaus zu machen.
Auch wenn die Idee erst einmal unkonventionell klingt: Medien lieben Fressen und gefressen werden, die Politik wird heilfroh sein, wenn sie die Windräder los ist und der Rest von uns: rennt.
Zu anstrengend? Dann warten wir gemütlich auf die Hand, die uns beim Liebesspiel erschlägt.
Alles wahrscheinlicher, als Tempo 130 auf der Autobahn.