Normalverdiener
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Kathrin Röggla
About this listen
Sie sind Architekten, Unternehmer, Lebenskünstler oder Bankrotteure. Sie stehen im Leben, manchmal daneben, wissen um die Anforderungen des Alltags und um ihre verlorenen Ideale. Sie sind Großstädter mit mehr oder weniger intakten Erwerbsbiographien. Karsten und Sandra, Tine und Normann, Sven, Johannes, Ueli oder Gebhart. Und so heterogen ihre Werdegänge sind, so unterschiedlich ihre Geschichten sich anhören, eines schweißt sie zusammen: sie sind anders als ER, der alte Freund, der es inzwischen zu sehr viel Geld gebracht und jetzt eine Einladung ausgesprochen hat. Für ein paar Tage soll es in seinem luxuriösen Ferienressort zum Wiedersehen kommen. Eine Gelegenheit, die sie, die Normalverdiener, einfach nicht ausschlagen können. Und die Chance, sich diese Welt der spekulativen Großgeschäfte, des Luxus und des unstillbaren Narzissmus einmal aus der Nähe anzusehen.
Doch anders als erwartet, bleibt der großzügige Gastgeber meistens abwesend. Er entzieht sich den Freunden, denen so nichts anderes übrig bleibt, als über ihn zu reden und dabei vor allem sehr viel von sich selbst zu verraten. Die behauptete Distanz zum größenwahnsinnigen Geschäftsmann wird in ihren Reden genauso relativ wie der vermeintliche Abstand zur narzisstischen Selbstbespiegelung. Letztlich erweisen sich die Normalverdiener, die sich so gerne als Opfer sehen würden, längst als Teil des Systems, das sie vordergründig verurteilen. Die Fähigkeit, die Umwelt und sich selbst mehr oder weniger unverzerrt wahrzunehmen, ist ihnen nämlich genauso abhandengekommen wie ihrem alten Freund. Als sich diese Umwelt in Form äußerst katastrophaler Realität ins Bild vom Ferienidyll zu schieben beginnt, sind die Normalverdiener schon lange keine Opfer mehr.
©2016 Bayerischer Rundfunk (P)2016 Bayerischer Rundfunk